Sonntag, 2. August 2015

Das Glück der Haptik

Die Medaille hat zwei Seiten. Dieser Spruch wird uns schon seit Kindesbeinen eingetrichtert. Und es ist ja was Wahres dran.

Warum ich drauf komme? Weil die Welt sich für mich gerade in zwei Hälften teilt. Die unmittelbare und die mittelbare. Wie? Was? Na, ich versuche mal ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern. Oder ein paar Beispiele zu notieren, warum ich einen solchen Text überhaupt schreibe.

Weil ich ein Bedürfnis habe. Ein Bedürfnis nach Sinnlichkeit, nach Direktheit. Ich spüre (hat das mit dem runden Geburtstag zu tun? - nöö, auch, vielleicht, ich weiß nicht), dass es mich zu dem Mehr an Haptik hinzieht, die mir die digitale, vermittelte und aufbereitete Welt nicht mehr liefert.

Also, um es kurz zu machen, ich fühle mich zum Beispiel unwohl mit meinem Kindle. Will wieder lieber ein richtiges Buch mit Staben, Papier, Umschlag und Gefühl in Händen halten. Will spüren und sehen können, wie viel ich bereits im Buch gelesen habe, will beim Papier dessen Zärtlichkeit mit dem Fingerkuppen erfahren können, mag das Erotische des Lesens doch zu sehr.

Der Kindle ist schön praktisch, ich habe 1000 Bücher immer dabei, aber erzeugt er auch die Lust am Lesen? Ich habe mir das immer eingebildet, habe auf so etwas wie einen Paradigmenwechsel gewartet, aber er hat sich nie richtig eingestellt. Habe gedacht, ich müsse mich nur daran gewöhnen, müsste dem Kindle eine Chance geben. Aber ich bin dann aber wohl doch zu sehr Buchliebhaber, Gestaltungsfetischist, Leselustwandler. Ich liebe richtige Bücher. Ich mag deren Geruch. Auch schaue ich mir manchmal nur Umschläge in meiner Lieblingsbuchhandlung an. Das erzeugt ein Gefühl, wie ein Museumsbesuch voller lauter kleiner, schöner Bilder. Wunderbar.

Und als ich mir heute im sommerlichen Garten im Liegestuhl darüber Gedanken machte, da fielen mir auf ein mal so viele Dinge ein, derer ich mich mittlerweile nur auf sekundäre Art nähere. Nehmen wir nur mal eine CD und ein Livekonzert, selbst gemachte Kirschmarmelade und gekaufte, ein Instrument selber lernen und nur konsumieren, Kartenspiele und Computeranimationen.. ach, die Liste ließe sich unendlich fortsetzen.

Okay, ich bin auch begeistert von den digitalen Möglichkeiten, nutze Facebook und Co. für meine Fotografien und bin ja quasi das Aushängeschild einer digitalen Lebensphilosophie. Aber (das an sich böse Wort, was jede Aussage zum Einsturz bringt), ich habe dabei ein seltsames Gefühl. Ich habe das Gefühl, dass mir was da durch geht, dass ich mich im Rausch der Bits verliere und am Ende ein Stück weit oberflächlicher, berauschter und im Endeffekt unzufriedener lebe.

Warum habe ich wohl den Wind an der Nordsee dieses Jahr so genossen? Vielleicht weil Facebook nichts Echtes gibt, weil es Meer nur am Strand gibt, weil Freiheit auch die des Blickes in unendliche Weiten ist? Mich beschleicht dieses Gefühl, dass ich zu sehr schon in den Bits und Bytes lebe und das Gefühl auf der Strecke bleibt. Das Gefühl für Zeit, für Langeweile, für Kälte und Wärme, für Natur und Kultur, für Liebe und Nähe.

Nun bin ich wahrlich kein Kulturpessimist (so wie Wilhelm Meister bei Goethe von einem solchen gewarnt wird, dass das Fernrohr die Menschen von den wichtigen Dingen des Menschseins ablenken würde), ich möchte nur für mich selber dem nachspüren, was ich den Wohlstand des Unmittelbaren nennen möchte.

Denn wir leben unter einer goldenen Käseglocke, unter der wir uns viele Unmittelbarkeiten leisten können, die für andere Weltregionen nicht so selbstverständlich sind. Sauberes Wasser, genug Nahrung, angstfreies Leben, um nur einige Dinge zu nennen. Und wir haben Zugang zu vielen schönen Dingen. Können unsere Jahreszeiten genießen, ins Theater gehen, Freunde einladen zu selbstgebackenem Kuchen und vielem mehr.

Ich sollte einmal eine Liste des Wohlstands und der Unmittelbarkeit schreiben, die, zusammengefasst zu einem Buch mit Fotografien, ein Wegweiser für den modernen, digitalen Nomaden werden könnte. Diesem wird dann die Möglichkeit gegeben, zu erkennen, da stimmt etwas nicht, ich muss vielleicht einen Schritt zurück gehen und mir mal den Geruch eines frisch geöffneten Hardcover-Buches reinziehen. Denn ich habe gemerkt, wenn die Sinne sich in mir öffnen, dann finde ich das Glück in mir. Das Glück der Haptik.

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