Auf die Probe gestellt. Oper als fotografische Herausforderung
Ich begleite die Proben zu La Traviata, der Oper im Audimax
mit meiner Kamera. Ich bin oft dabei und halte viele Szenen fest.
Ich dachte nicht, dass es ein so großes Glück sein könne,
von Anfang an die Aufführung zu begleiten. Ich dachte nicht, dass ich darin so
aufgehen würde. Ich dachte nicht, dass es mich derart fesseln würde.
Ich hatte nämlich überhaupt nicht damit gerechnet, dass
diese intensive Zeit, die vielen unterschiedlichen Proben und Ausschnitte mit
und ohne Kostüm mir eine so reichhaltige Möglichkeit bieten würden, mein
fotografisches Talent weiter zu entwickeln. Die Betrachter meiner Fotos sehen
ja nur die Ergebnisse. Den Hintergrund, wie ein Fotograf denkt und beurteilt,
kennen sie ja nicht.
Dieser Text soll ein wenig beschreiben, wie es einem Fotografen so ergeht, wenn er mitten in eine ihm fremde Welt geworfen wird.
Nun ganz fremd ist mir die Musik nicht. Als Student der
Kunstgeschichte und Germanistik hatte ich in den neunziger Jahren des letzten
Jahrhunderts schon viel klassische Musik gehört, war auf vielen Konzerten,
hatte sogar angefangen Geige zu spielen, es dann aber aufgrund fehlenden
Talents leider wieder aufgegeben. Zumindest hörte ich Verdi-, Mozart- und sogar
Wagneropern mit Enthusiasmus. Mit Beruf, Kindern und vielen anderen Dingen
vernachlässigte ich diese Leidenschaft. Auch lag meine künsterlerische
Kreativität brach, die ich erst vor etwa drei Jahren mit der Fotografie
wiederentdeckte.
Umso begeisterter war ich, als Lara Venghaus mich fragte, ob
ich das Opernprojekt des Universitätsorchesters fotografisch begleiten und von
Anfang an dokumentieren wolle. Zwar war mir das Ganze aufgrund der vielen
Probentermine nicht ganz geheuer - würde ich denn nicht immer die gleiche Art
von Fotos schießen, dachte ich mir - aber es kam ganz anders. Ich verließ mich
ganz auf meine Intuition und einen entscheidenden Faktor, meine Freiheit.
Lara Venghaus ließ mir vollkommene Freiheit, was meine
Ergebnisse betraf. So stand ich unter keinem kommerziellen Druck, musste nichts
marketingtaugliches abliefern, hatte keine Erwartungen zu erfüllen. Ich konnte
mich selber “auf die Probe” stellen, konnte mir die Freiheit des Herzens,
meines fotografischen Herzens nehmen und wie ein Wahrnehmungsjäger im Revier
der musikalischen Kunst wildern.
Das Gefühl war tatsächlich das eines behutsamen Beobachters,
der sein “Wild” nicht aufscheuchen wollte, der vorsichtig durch die Reihen der
Probenden schlich, die mich wohlwollend zur Kenntnis nahmen. Ich dagegen war
ganz Auge, war auf der Suche nach besonderen Momenten, Motiven und Gruppen-
sowie Einzelporträts. Muss man sich als Fotograf sonst um MakeUp, Beleuchtung
und die Kommunikation mit den Models kümmern, ließ ich mich jetzt fast schon
fallen. Damit öffneten sich mir die Poren der Kreativität. Ich verließ mich
ganz auf meine Art der Wahrnehmung. Ich würde es den “fotografischen Blick”
nennen, eine Freundin nennt es den “liebevollen Blick”.
Eine mich begleitende liebe Freundin fragte wiederrum, hast
Du diesen tollen Gesang gehört? Ich hatte nichts mitbekommen. Ich war ganz
AUGE. Ich war nur LINSE. Ich war konzentriert im richtigen Moment abzudrücken.
Die Sänger, die Orchestermitglieder, der Spielleiter und die Tänzerinnen sowie
der Dirigent probten nur für mich. Es war herrlich, ich konnte ganz Fotograf
sein, ohne Rücksicht auf Verluste. In dieser Situation ließ ich vieles hinter
mir, was mich in den letzten Jahren bedrückt hatte. Hier war ich ich, hier
konnte ich sein.
Und dann hörte ich die Töne, sah die Kleider, sah lächelnde
Gesichter von denen, die meine Ergebnisse gesehen hatten. Ich fühlte mich als
Teil des Ganzen. Stand mitten in Verdis Welt. Oder auch in Laras und Johanns Welt.
Und in der Welt der ganzen anderen.
Zuhause hatte ich die nächste Gelegenheit meiner Freiheit
genüge zu tun. Das Abdrücken war das Eine. Dann aber erst entwickelte ich das
Ganze, beschnitt, korrigierte, setzte Lichter und verwandelte in Schwarz-Weiß.
Ich kam dem Ensemble so nah, wie als wären sie meine Seelenverwandten.
Zumindest lernte ich sie auf diese Art intensiv kennen und stellte visuelle
Nähe her.
Diese Nähe führte zu neuen Ideen für die nächsten Shootings
und die weiteren Schritte. Bei jeder Probe entstand eine neue Galerie von
Möglichkeiten in mir. Ich wurde immer freier und schickte Lara und Johann im
Kostüm und Frack ohne Scheu durch die Unihalle und auf die Stadtbahnbrücke. Sie
vertrauten mir, ich vertraute meiner Intuition. Denn das ist es, was ich in mir
spüre, eine Intuition für das Richtige. Und diese Intuition ist nicht einfach
so da, sie wächst und wächst mit diesem großartigen Projekt. Nur so entwickelt
sich meine Bildsprache weiter und prägt sowas wie Stil.
Ich freute mich schon sehr auf die Aufführungen, wo ich
mich dann auch mal zurücklehnen und die Musik genießen konnte. Vor dem
Audimax waren viele Fotografien zu sehen, eine
Ausstellung im Foyer. Ich bin gespannt, was noch kommt. Bis dahin schaue ich
einfach weiter hin. Ganz genau. Fotografisch liebevoll eben.
Markus Paulußen Fotografie,
März 2017
www.markus-paulussen.de